„Da geht noch mehr“, ist die Devise der zweiten Saison der Tiroler Volksschauspiele unter der künstlerischen Leitung von Gregor Bloéb. Neben der Neuaufnahme der Erfolgsproduktion „7 Todsünden“ am Birkenberg, in der nun Stefanie Reinsperger den Part von Gerti Drassl übernehmen wird, kündigte Bloéb Donnerstagabend – erneut in einer öffentlichen Pressekonferenz im Großen Rathaussaal in Telfs – Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ als neue Theaterproduktion für den Festivalsommer 2024 an.

Mit dem Themenschwerpunkt 2024 „Schuld und Sühne, Recht und Gerechtigkeit“ kehrt man gleichzeitig auch ins Zentrum von Telfs zurück: Der zeitlose Klassiker wird am 1. August 2024 am Eduard-Wallnöfer-Platz in der Regie von Anna Bergmann seine Premiere erleben.

Die Jungen Tiroler Volksschauspiele unter der Leitung von Daniela Oberrauch greifen das Thema ebenfalls auf. Ebenso die von Dramaturg Florian Hirsch kuratierte All-Star-Marathonlesung in dem zur Lounge umgestalteten Rathaussaal: Anlässlich des 100. Todestages von Franz Kafka werden u.a. Gerti Drassl, Dörte Lyssewski, Sophie Rois, Valerie Tscheplanova, Rufus Beck und Max Simonischek aus dessen Romanfragment „Der Prozeß“ lesen.

Fortgesetzt wird auch die Zusammenarbeit mit dem Theater Verband Tirol: Thomas Gassner bringt 2024 gemeinsam mit zehn Dorf- und Amateurbühnen Sepp Schluiferers Satire „Fern von Europa – Tirol ohne Maske“ und damit einen veritablen Literaturskandal des vorigen Jahrhunderts auf die Rathaussaalbühne.

Für das Festivalkonzert am 9. August stehen mit „Dicht & Ergreifend“, „Django 3000“ und „Von Seiten der Gemeinde“ indes bairisch-tirolisches Crossover und kritisch-pointierter Mundart-Rap am Programm. Und zum Abschluss der Saison 2024 bei der Derniere des „Zerbrochnen Kruges“ am 17. August werden die Tiroler Volksschauspiele eine weitere verdiente Persönlichkeit mit einer RUTH ehren.

7 Todsünden

Jener Stoff, der die Tiroler Volksschauspiele einst begründete, hat sie im Sommer 2023 am magischen Open-Air-Spielort Birkenberg tatsächlich erneut befeuert und belebt und zu Rekord-Auslastungszahlen geführt. Die Tiroler Volksschauspiele hatten Autorinnen und Autoren verschiedener Generationen und Genres beauftragt, ihre Fantasie spielen zu lassen, sich jeweils eine Sünde vorzunehmen und sie für unsere Gegenwart neu zu denken.

Die gefeierten jungen Autorinnen Lisa Wentz (Nestroy-Preisträgerin 2022 in der Kategorie „Bestes Stück“) und Helena Adler (für ihren Roman ‚Fretten‘ war sie für den Österreichischen Buchpreis nominiert) schrieben über Zorn bzw. Trägheit, Calle Fuhr erforschte den Hochmut unserer Tage. Felix Mitterer kehrte mit seinem grotesk-komischen Versuch über die Habgier nach Telfs zurück, der renommierte Drehbuch- und Romanautor Uli Brée gab sich hemmungslos der Völlerei hin, während David Schalko die finster-funkelnden Seiten der Wollust auslotete – hierfür wurde eine seiner Kurzgeschichten für die Bühne bearbeitet.

Den Neid als Quelle und Wurzel von Intrige, Mobbing und Hass setzte Choreografin Marie Stockhausen auf atemberaubende Weise mit einem Tanzensemble um. Für Prolog wie Epilog war der oscarnominierte Filmemacher Hubert Sauper gemeinsam mit Johannes Schmidl verantwortlich. So entstanden sieben Kurzstücke zwischen Himmel und Hölle, Dystopie und Utopie, Totentanz und lustvoller Feier des Lebens, die schließlich mit einer mitreißenden Live-Band im neuen Birkenberger Pop-up Globe Theatre zu einem großen Theaterabend für ALLE zusammengeführt wurden. Aufgrund der überwältigenden Nachfrage wird es 2024 eine Wiederaufnahme und Weiterentwicklung der sinnlichen, opulenten und rasend komischen Revue am selben Ort geben – rechtzeitiger Ticketkauf wärmstens empfohlen!

Fern von Europa

„Das Land, von dem ich reden will, liegt sicherlich weit entfernt von Europa. Genaueres weiß ich nicht zu sagen. Es ist ein unbekanntes Land, das sich keinem von heute auf morgen eröffnet. Davon etwas zu erfahren, vom intimeren Leben und Fühlen dieses Volkes, dazu braucht es Jahre. Die Eingeborenen heißen ihr Land Tarrol. (…) Eine weihevolle Stimmung muß jeden ergreifen, der ein Volk studiert, an dem die Zeit spurlos vorbeigeht. Sie wird einmal sogar die Pyramiden zerbröckeln und dem Erdboden gleichmachen, jedoch in Tarrol hat ihre Macht ein Ende. Hierin liegt unleugbar etwas Großes. Darum widme ich mein Büchlein diesem wunderbaren Lande und allen denen, die es lieben lernten wie ich.“

Die Aktualität von Sepp Schluiferers (aka Carl Techets) satirischem Text, den Thomas Gassner im Auftrag der Volksschauspiele 2024 für die Dorf- und Amateur-Bühnen adaptiert, liegt weniger in einem müder gewordenen und ermüdenden Tirol-Bashing, sondern mehr im komplett verloren gegangenen Humor gegenüber einer völlig aus dem Ruder laufenden Welt. Dabei würden Selbstkritik, Selbstironie, Selbstreflexion und die Fähigkeit, außerhalb der eigenen Blase Stehenden zuzuhören, einer polarisierten Gesellschaft mehr als gut tun.

„Lasst uns also die Geschichten von Carl Techet erleben und schauen wir, was sie mit uns heute noch anstellen“, empfiehlt Thomas Gassner, „außer dem üblichen Beißreflex halbgebildeter Moralist:innen, selbsternannter Kulturversteher:innen oder gestriger Kleingeister. Erforschen wir anstatt dessen Karl Valentins so schönen Spruch: Alles hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.“ Der Rest ist Verhandlungssache, aber eines ist sicher: Zehn Tiroler Amateurbühnen werden wieder gemeinsam um ihr Leben spielen, im Großen Rathaussaal von Telfs.

Bereits fix dabei: Theaterverein Nikolsdorf (LZ), Volksbühne Langkampfen (KU), Theater ohne Vorhang (IBK), Volksbühne Telfs (IBK-Land), Winkelbühne Prutz/Faggen (LA).

„Der Prozeß“ als All-Star-Marathon-Lesung

„Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet“ – Franz Kafka, der damit einen der berühmtesten Anfangssätze der Weltliteratur schuf und dessen Todestag sich in diesem Sommer zum 100. Mal jährt, ist ein Seelenverwandter von Kleist. Auch ihm war „auf Erden nicht zu helfen“. Und kaum jemand in der deutschsprachigen Literatur verfügte über eine vergleichbare Sprachgewalt wie diese beiden Jahrhundertautoren.

Bei Kafka entpuppt sich die Gerichtsbarkeit immer wieder als kaum zu bewältigender Marathon mit ungewissem Ausgang – wie etwa in seinem epochalen Romanfragment „Der Prozeß“. Dieses wird nun – nach Jelineks Privatroman Neid im vergangenen Jahr – in einer siebenstündigen All-StarLesung im zur Lounge umgewandelten Großen Rathaussaal präsentiert. „Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht“, ruft der Protagonist Josef K. an einer Stelle aus – und nicht nur da wirkt der so abgründige wie humorvolle Text berückend aktuell.

Es lesen u.a.: Gerti Drassl, Dörte Lyssewski, Sophie Rois, Valerie Tscheplanova, Rufus

Beck, Max Simonischek

Festivalkonzert mit Dicht & Ergreifend, Django 3000, Von Seiten der Gemeinde

Dicht & Ergreifend

Das sind Lef Dutti (bürgerlich Fabian Frischmann) und George Urkwell (bürgerlich Michael Huber). Zwei niederbayerische Hip-Hopper, die 2008 nach Berlin zogen, wo sie 2014 „Dicht & Ergreifend“ gründeten und nun seit fast zehn Jahren mit kritisch-unverblümtem Mundart Rap und hippen Outfits für Furore sorgen. Ihre Shows – so heißt es – seien wie „Poesie mit Boxhandschuhen“. Diesem Ruf wurden sie erst kürzlich bei der Verleihung des Kulturpreises Bayern wieder mehr als gerecht: Sie lehnten ihn auf offener Bühne ab und haben das Preisgeld stattdessen aus der eigenen Bandkasse für ein humanitäres Hilfsprojekt in Afrika gespendet.

Django 3000

Die bayerischen Gypsys von Django 3000 rocken seit nunmehr zwölf Jahren auf sämtlichen Bühnen der Welt. Ihr unverwechselbarer Gypsysound bringt jeden zum Tanzen, der nicht gerade an einer Hüftdysplasie leidet.

Von Seiten der Gemeinde

Was vor sieben Jahren als reines Spaßprojekt mit viel Freude am Zerstückeln von Sprachfetzen der regionalen Lokalsender und deren gekonnter Neuzusammensetzung

begann, hat nun zu seiner distinkten Stimme gefunden, die sich auch ernsteren Themen, von Konsumkritik über Vergänglichkeit, bis hin zu Zuwanderung widmet. Das alles jedoch nie ohne die stets unterhaltende Note, das Augenzwinkern und der „Sich selbst nicht zu ernst nehmen“-Attitüde, die die Musik der drei Oberländer seit Tag eins auszeichnet.

Termine

7 Todsünden

24. und 25. Juli 2024, Telfs, Theater am Birkenberg

Fern von Europa

18. und 19. Juli 2024, Rathaussaal Telfs

Marathon Lesung Kafka

4. August 2024, Rathaussaal Telfs

Festival-Konzert DICHT & ERGREIFEND

9. August 2024, Kuppelarena Telfs

Kontakt

Tiroler Volksschauspiele

Untermarkstraße 5+7

6410 Telfs

Tel.: 0676/83038750 (Mo-Fr, 9 bis 14 Uhr)

sonja.schwaiger@volksschauspiele.at

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